12 November, 2022

Quilt- und Patchwork „historisches“ aus Deutschland…

Ein Fundstück ...https://kpbc.umk.pl/dlibra/publication/158218/edition/160924

Eine kleine Geschichte aus der Thorner Presse vom Donnerstag, 20. Juli 1899

Die Flickendecke.

Eine unmoderne Geschichte von E. v. H.

____________________________________

Es gehörte schon in meiner Kindheit zu

meinem und der Geschwister größten Ver-

gnügen, oben in das Giebelstübchen zu unserer

lieben alten Großmutter zu gehen. Wie

reizvoll war es aber auch dort! Im Winter

war der behagliche Raum von dem angenehmen

Geruch gebratener Aepfel erfüllt, im Sommer

welcher Blumenduft! Im Herbst konnte man

sich von» Fenster aus die besten Trauben

pflücken, da die ganze eine Seite unseres

Pfarrhauses mit Wein bewachsen und nur

dies einzige Fenster durchgebrochen war.

Freilich legte uns der Besuch auch gewisse

Verpflichtungen auf, wir mußten alle mit

reinen Schuhen und Händen kommen, zu

welchem Zwecke im Vorsaal ein sehr einfaches

Toilettenkabinet eingerichtet war. Hatten

wir uns nun gesäubert, so durften wir alle,

nachdem wir geklopft hat – darin war Groß-

mutter auch streng auf alte Sitte – hinein

zu ihr, und die war immer gütig und

liebevoll.

In der Dämmerung setzten wir uns dann

auf unsere kleinen Stühlchen, und wenn die

letzten Strahlen der untergehenden Sonne

wie eingoldener Streifen durch das Fenster

und gerade auf Großmutters Bett, das im

Alkoven stand, fiel, so hieß es beinahe täglich:

„Großmutter, erzähle doch heute vom blauen'

nein, Großmutter, voin rothen Flicken«, und

es gab erst Ruhe, nachdem sie uns versprochen,

daß wir alle zu unserem Rechte kommen sollten!

Großmutter hatte nämlich über ihrem

Bette eine schöne, große, seidene Decke liegen,

die aus lauter einzelnen Läppchen sehr kunst-

voll zusammengesetzt war. Da gab es grüne

und safrangelbe Flicken, andere, die in allen

möglichen Farben wie Papageienfedern durch-

einander schillerten, wieder andere mit kleinen

gestickten Blumen und Käfern darauf, schwere

Brokat- und Goldstoffstückchen, und in der

Mitte saß in ein Achteck geschnitten ein Stück

aprikosenfarbiger Seide mit einem Ranken-

muster. Wie mühselig mochte es gewesen sein,

diese Decke zu nähen! Rings herum lief ein

zackiges Muster von helleren Stoffen auf

dunkelgrünem, blauem oder braunem Grunde

und in dem Mittelstück waren wieder vier

Sterne in den Ecken angebracht.

Was aber das allerschönste war, Groß-

mutter wußte beinahe von jedem dieser

Läppchen eine Geschichte zu erzählen, es waren

ihr lauter liebe, alte Bekannte, und sie strich

oftmals mit ihren braunen, runzlichen Händen

über die Seide und sagte: „Sie sind nun

schon beinahe alle todt« oder: „Die liebe

Bianka, wie schön sah sie doch darin aus!«

Die Decke war ihr, was uns heutzutage

wohl ein Album ist; man sieht darin die

Bilder der Freunde aus der Schulzeit, Menschen,

die man ganz vergessen hatte, hätte man nicht ein

Andenken an sie in ihrem Konterfei. Dann

folgen die Bilder derer, für die man einst

geschwärmt, und zuletzt die Bilder unserer

Verwandten, unserer Kinder, unserer Freunde.

Großmutters Decke war aber viel poetischer

als solch' Album in Leder mit Goldschnitt,

die bunten Läppchen zauberten vor ihre

Seele die Bilder vieler lieber Menschen und

deren Schicksale.

Wir Kinder hatten jedes unseren Lieb-

lingsflicken, und viele der übrigen waren

uns vertraut wie alte Bekannte. Die Ge-

schichte der vier Sterne in den Ecken kannten

wir ganz genau, der eine bestand aus lauter

Proben von den seidenen Jäckchen, die

Großmutters acht Kinder zur Taufe getragen

hatten. Da war das von unserer Mutter,

schön rosenroth, und darüber war früher

noch weiße Spitze gewesen. Onkel August,

der dicke Gutsbesitzer, zu dem wir so gern

in die Ferien gingen, hatte das gelbe ge-

tragen, und wir meinten immer, es müsse

ihm schlecht zu seinem rothen Gesicht ge

standen haben. Onkel Fritz, der in Amerika

verschollen ist und daher für uns immer

eine besonders interessante Persönlichkeit

war, trug dieses rothe, und die schöne

Dorothee, die keiner hat sehen können, ohne

sie zu lieben, ist im himmelblauen Röckchen

eine kleine Christin geworden.

Am meisten reizte unsere Neugicrde aber

immer das aprikosenfarbene Stück in der

Mitte, es mußten sich wehmüthige Erinne-

rungen an Großmntters Jugendzeit daran

knüpfen, und sie hat uns Kindern nie seine

Geschichte erzählt.

Unser Urgroßvater war Arzt in einer

kleinen Residenzstadt gewesen; er und seine

Familie wurden oft zu den Hoffestlichkeiten

zugezogen. Von einem solchen Balle, dem

einzigen, den unser Großchen, wie wir sie

nannten, besuchte, stammte die schöne, weiß-

seidene Probe mit den Rosenknöspchen, es

war ein Stückchen ihres Ballkleides. Auf

jenem Feste war ihr ein arges Mißgeschick

widerfahren. Der Erbprinz forderte sie zu

einem Menuet auf, und als sie voller Herz¬

klopfen bemüht war, jeden pas mit der

nöthigen Anmuth und Zierlichkeit auszu-

führen, fühlte sie plötzlich, daß sich ihr bis

auf die Knöchel reichendes Kleid verlängert»

und wie sie herniederblickt auf die kreuz-

bändrigen Schuhe, bemerkt sie, daß sich einer

ihrer Unterröcke durch einen unglücklichen

Zufall gelöst und ihr zu Füßen fällt. Sie

also mit einem: „Serenissimus, wollen

huldvollst gnädigst verzeihen«, eilt zur Saal-

thür hinaus, hebt den unterdes heruntge-

fallenen Unterrock auf und schleudert ihn,

soweit sie kann, von sich. Nun aber die

spöttischen Gesichter, als sie wieder herein¬

kam und vor Verlegenheit keinen Schritt

mehr richtig tanzen konnte! — Meine

Schwestern und ich beschlossen, uns unsere

Ballröcke immer gegenseitig nähen zu wollen

und sagten der Großmutter tröstende Worte

wegen dieses längst überwundenen Schmerzes.

Mehrere purpurne orientalische Stückchen

stammten von der Tante Bianka, der

ältesten Schwester unsers Großchens, die

einen Posthalter in Schwaben geheirathet

hatte.

Eine Posthalterei zu besitzen, besonders

wenn sie so günstig gelegen war, wie diese,

am Kreuzungspunkt mehrerer Landstraßen,

war dazumals, als es noch keine Eisenbahnen

gab, ein einträgliches Geschäft. Darum

war auch der Urgroßvater froh, seine Aelteste

so wohl versorgt zu wissen, wenn auch der

Herr Schwiegersohn hätte dem Alter nach

der Vater seiner Frau sein können. Aber

in der guten alten Zeit wurden die Kinder

in strenger Zucht gehalten, und so mußte

auf des Vaters Geheiß die schöne Bianka

einem blondgelockten Pfarrerssohn, der erst

zwei Jahre zur Universität ging…


Quilt Details:

Bezeichnungen: 

  • Flickendecke
  • Flicken
  • Läppchen – Plural / Verniedlichung von Lappe (viereckige Zeug-/Stoffstücke)

Material: 

  • Seide
  • Brokat
  • Goldstoff
  • Seide mit Rankmuster
  • Kleidungsstoffe


QuiltBlock/Muster:


  • „… in der Mitte saß in ein Achteck geschnitten ein Stück aprikosenfarbiger Seide mit einem Ranken…“
  • „…Rings herum lief ein zackiges Muster von helleren Stoffen auf dunkelgrünem, blauem oder braunem Grunde…“
  • „und in dem Mittelstück waren wieder vier Sterne in den Ecken angebracht…“
  • „…vier Sterne in den Ecken … der eine bestand aus lauter Proben von den seidenen Jäckchen…“

Crazy Quilt und/oder English Paper Piecing Quilt?


Erwähnenswert: 

 „…Großmutters Decke war aber viel poetischer als solch' Album in Leder mit Goldschnitt, die bunten Läppchen zauberten vor ihre Seele die Bilder vieler lieber Menschen und deren Schicksale…“


  • Ein Freundschafts, MemoryQuilt

No comments: