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Eine kleine Geschichte aus der Thorner Presse vom Donnerstag, 20. Juli 1899
Die Flickendecke.
Eine unmoderne Geschichte von E. v. H.
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Es gehörte schon in meiner Kindheit zu
meinem und der Geschwister größten Ver-
gnügen, oben in das Giebelstübchen zu unserer
lieben alten Großmutter zu gehen. Wie
reizvoll war es aber auch dort! Im Winter
war der behagliche Raum von dem angenehmen
Geruch gebratener Aepfel erfüllt, im Sommer
welcher Blumenduft! Im Herbst konnte man
sich von» Fenster aus die besten Trauben
pflücken, da die ganze eine Seite unseres
Pfarrhauses mit Wein bewachsen und nur
dies einzige Fenster durchgebrochen war.
Freilich legte uns der Besuch auch gewisse
Verpflichtungen auf, wir mußten alle mit
reinen Schuhen und Händen kommen, zu
welchem Zwecke im Vorsaal ein sehr einfaches
Toilettenkabinet eingerichtet war. Hatten
wir uns nun gesäubert, so durften wir alle,
nachdem wir geklopft hat – darin war Groß-
mutter auch streng auf alte Sitte – hinein
zu ihr, und die war immer gütig und
liebevoll.
In der Dämmerung setzten wir uns dann
auf unsere kleinen Stühlchen, und wenn die
letzten Strahlen der untergehenden Sonne
wie eingoldener Streifen durch das Fenster
und gerade auf Großmutters Bett, das im
Alkoven stand, fiel, so hieß es beinahe täglich:
„Großmutter, erzähle doch heute vom blauen'
nein, Großmutter, voin rothen Flicken«, und
es gab erst Ruhe, nachdem sie uns versprochen,
daß wir alle zu unserem Rechte kommen sollten!
Großmutter hatte nämlich über ihrem
Bette eine schöne, große, seidene Decke liegen,
die aus lauter einzelnen Läppchen sehr kunst-
voll zusammengesetzt war. Da gab es grüne
und safrangelbe Flicken, andere, die in allen
möglichen Farben wie Papageienfedern durch-
einander schillerten, wieder andere mit kleinen
gestickten Blumen und Käfern darauf, schwere
Brokat- und Goldstoffstückchen, und in der
Mitte saß in ein Achteck geschnitten ein Stück
aprikosenfarbiger Seide mit einem Ranken-
muster. Wie mühselig mochte es gewesen sein,
diese Decke zu nähen! Rings herum lief ein
zackiges Muster von helleren Stoffen auf
dunkelgrünem, blauem oder braunem Grunde
und in dem Mittelstück waren wieder vier
Sterne in den Ecken angebracht.
Was aber das allerschönste war, Groß-
mutter wußte beinahe von jedem dieser
Läppchen eine Geschichte zu erzählen, es waren
ihr lauter liebe, alte Bekannte, und sie strich
oftmals mit ihren braunen, runzlichen Händen
über die Seide und sagte: „Sie sind nun
schon beinahe alle todt« oder: „Die liebe
Bianka, wie schön sah sie doch darin aus!«
Die Decke war ihr, was uns heutzutage
wohl ein Album ist; man sieht darin die
Bilder der Freunde aus der Schulzeit, Menschen,
die man ganz vergessen hatte, hätte man nicht ein
Andenken an sie in ihrem Konterfei. Dann
folgen die Bilder derer, für die man einst
geschwärmt, und zuletzt die Bilder unserer
Verwandten, unserer Kinder, unserer Freunde.
Großmutters Decke war aber viel poetischer
als solch' Album in Leder mit Goldschnitt,
die bunten Läppchen zauberten vor ihre
Seele die Bilder vieler lieber Menschen und
deren Schicksale.
Wir Kinder hatten jedes unseren Lieb-
lingsflicken, und viele der übrigen waren
uns vertraut wie alte Bekannte. Die Ge-
schichte der vier Sterne in den Ecken kannten
wir ganz genau, der eine bestand aus lauter
Proben von den seidenen Jäckchen, die
Großmutters acht Kinder zur Taufe getragen
hatten. Da war das von unserer Mutter,
schön rosenroth, und darüber war früher
noch weiße Spitze gewesen. Onkel August,
der dicke Gutsbesitzer, zu dem wir so gern
in die Ferien gingen, hatte das gelbe ge-
tragen, und wir meinten immer, es müsse
ihm schlecht zu seinem rothen Gesicht ge
standen haben. Onkel Fritz, der in Amerika
verschollen ist und daher für uns immer
eine besonders interessante Persönlichkeit
war, trug dieses rothe, und die schöne
Dorothee, die keiner hat sehen können, ohne
sie zu lieben, ist im himmelblauen Röckchen
eine kleine Christin geworden.
Am meisten reizte unsere Neugicrde aber
immer das aprikosenfarbene Stück in der
Mitte, es mußten sich wehmüthige Erinne-
rungen an Großmntters Jugendzeit daran
knüpfen, und sie hat uns Kindern nie seine
Geschichte erzählt.
Unser Urgroßvater war Arzt in einer
kleinen Residenzstadt gewesen; er und seine
Familie wurden oft zu den Hoffestlichkeiten
zugezogen. Von einem solchen Balle, dem
einzigen, den unser Großchen, wie wir sie
nannten, besuchte, stammte die schöne, weiß-
seidene Probe mit den Rosenknöspchen, es
war ein Stückchen ihres Ballkleides. Auf
jenem Feste war ihr ein arges Mißgeschick
widerfahren. Der Erbprinz forderte sie zu
einem Menuet auf, und als sie voller Herz¬
klopfen bemüht war, jeden pas mit der
nöthigen Anmuth und Zierlichkeit auszu-
führen, fühlte sie plötzlich, daß sich ihr bis
auf die Knöchel reichendes Kleid verlängert»
und wie sie herniederblickt auf die kreuz-
bändrigen Schuhe, bemerkt sie, daß sich einer
ihrer Unterröcke durch einen unglücklichen
Zufall gelöst und ihr zu Füßen fällt. Sie
also mit einem: „Serenissimus, wollen
huldvollst gnädigst verzeihen«, eilt zur Saal-
thür hinaus, hebt den unterdes heruntge-
fallenen Unterrock auf und schleudert ihn,
soweit sie kann, von sich. Nun aber die
spöttischen Gesichter, als sie wieder herein¬
kam und vor Verlegenheit keinen Schritt
mehr richtig tanzen konnte! — Meine
Schwestern und ich beschlossen, uns unsere
Ballröcke immer gegenseitig nähen zu wollen
und sagten der Großmutter tröstende Worte
wegen dieses längst überwundenen Schmerzes.
Mehrere purpurne orientalische Stückchen
stammten von der Tante Bianka, der
ältesten Schwester unsers Großchens, die
einen Posthalter in Schwaben geheirathet
hatte.
Eine Posthalterei zu besitzen, besonders
wenn sie so günstig gelegen war, wie diese,
am Kreuzungspunkt mehrerer Landstraßen,
war dazumals, als es noch keine Eisenbahnen
gab, ein einträgliches Geschäft. Darum
war auch der Urgroßvater froh, seine Aelteste
so wohl versorgt zu wissen, wenn auch der
Herr Schwiegersohn hätte dem Alter nach
der Vater seiner Frau sein können. Aber
in der guten alten Zeit wurden die Kinder
in strenger Zucht gehalten, und so mußte
auf des Vaters Geheiß die schöne Bianka
einem blondgelockten Pfarrerssohn, der erst
zwei Jahre zur Universität ging…
Quilt Details:
Bezeichnungen:
- Flickendecke
- Flicken
- Läppchen – Plural / Verniedlichung von Lappe (viereckige Zeug-/Stoffstücke)
Material:
- Seide
- Brokat
- Goldstoff
- Seide mit Rankmuster
- Kleidungsstoffe
QuiltBlock/Muster:
- „… in der Mitte saß in ein Achteck geschnitten ein Stück aprikosenfarbiger Seide mit einem Ranken…“
- „…Rings herum lief ein zackiges Muster von helleren Stoffen auf dunkelgrünem,
blauem oder braunem Grunde…“
- „und in dem Mittelstück waren wieder vier Sterne in den Ecken angebracht…“
- „…vier Sterne in den Ecken … der eine bestand aus lauter Proben von den seidenen Jäckchen…“
Crazy Quilt und/oder English Paper Piecing Quilt?
Erwähnenswert:
„…Großmutters Decke war aber viel poetischer als solch' Album in Leder mit Goldschnitt, die bunten Läppchen zauberten vor ihre Seele die Bilder vieler lieber Menschen und deren Schicksale…“
- Ein Freundschafts, MemoryQuilt
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